Termessos

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Wer war David Hilbert?

Artikel von Daniela Wuensch und Klaus P. Sommer.

(In gekürzter Form zum 140. Geburtstag Hilberts am
23. Januar 2002 im Göttinger Tageblatt erschienen.)

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In der Schule interessierte ihn die Mathematik nicht: „ich wußte ja, dass ich das später tun würde.“ In der Tat wurde er neben Henri Poincaré zum größten Mathematiker des 20. Jahrhunderts.

Am 23. Januar 1862 kam David Hilbert in Königsberg zur Welt. Die Stadt Kants und der ostpreußischen Aufklärung prägte ihn. Hier studierte er Mathematik, wurde Privatdozent und außerordentlicher Professor.

In der kleinen Universitätsstadt Göttingen hatten die Mathematikergenies Carl Friedrich Gauß und Bernhard Riemann gelehrt. Hier wirkte seit 1886 Felix Klein (1849-1925). Der ausgezeichnete Organisator wollte Göttingen wieder zu einem Zentrum der Mathematik und Naturwissenschaft machen. 1895 gelang es Klein, den 33-jährigen Hilbert nach Göttingen zu berufen. Als man ihm vorwarf, es sich mit der Berufung eines so jungen Mannes leicht zu machen, entgegnete er: „ich berufe mir den allerunbequemsten.“

1897 erschien Hilberts monumentaler „Zahlbericht“ - er wurde zur „Bibel“ der Zahlentheorie. 1899 veröffentlichte Hilbert seine neue Axiomatisierung der Geometrie - sie machte ihn zum Euklid des 20. Jahrhunderts. Hilberts Vortrag 1900 in Paris über 23 „Mathematische Probleme“ bestimmte die Mathematik für die nächsten 50 Jahre und machte ihn vollends weltberühmt.

Hilberts Optimismus zog alle in seinen Bann. Dass der Erkenntnis Grenzen gesetzt seien, lehnte er ab: „in der Mathematik gibt es kein Ignorabimus“, kein: wir werden nicht wissen.

Hilberts Enthusiasmus riss alle mit. Rasch strömten von allen Seiten der Welt die begabtesten Mathematiker nach Göttingen. Und bald entstand in Göttingen fast ein ganzer Stadtteil mit Instituts- und Laborbauten. Das Ministerium war wohlwollend, Industrielle, die Klein gewann, spendabel. Walther Nernst, Emil Wiechert, Johannes Stark, Karl Schwarzschild, Ludwig Prandtl, Peter Debye, aber auch Edmund Husserl wirkten in Göttingen.

1902 erreichte Hilbert Hermann Minkowskis Berufung nach Göttingen. Er gab 1908 der Speziellen Relativitätstheorie die mathematisch perfekte Form: Er vereinigte Raum und Zeit zu einem vierdimensionalen Kontinuum.

Die Entdeckungen in der Physik jener Jahre bewegten Hilbert, sich ihr intensiv zu widmen. Im November 1915 lieferten sich Einstein und Hilbert ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Ob nun er oder Einstein als erster die Gravitationsgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie entdeckt hat, ist bis heute umstritten und erregt immer wieder öffentliches Interesse (DIE ZEIT 14.11.1997, NZZ 19.11.1997, FAZ 10.12.1997 u.a.m. bis hin zur Bild-Zeitung 26.9.2001).

Dabei wollte Hilbert nicht nur eine allgemeine Theorie der Gravitation geben, sondern die Gravitation sogleich mit der elektromagnetischen Kraft vereinheitlichen. So wurde er zum „Vater der vereinheitlichten Theorien“. Die genialen Schüler Hilberts Hermann Weyl und Theodor Kaluza legten 1918 und 1921 derartige Theorien vor.

Vorurteile kannte Hilbert genausowenig wie Grenzen und Verbote. Statusdenken war ihm fremd. Hatten sie etwas zu sagen, verkehrte er mit Privatdozenten und Studenten wie mit Gleichen - zum Entsetzen vieler seiner Kollegen.

Jeder konnte ihn besuchen. Auf ausgedehnten Wanderungen in Göttingens Wäldern konnte mitkommen, wer wollte. Das Neueste in der Mathematik und Physik wurde hier mit jedem genauso besprochen wie Politik und Berufungsfragen. Auf Festen, die die Hilberts gaben, konnten und sollten sich die Jünger der Wissenschaft, die häufig hungerten, ausgiebig stärken.

Hilberts Humor war sprichwörtlich. An einem Abend geplagt von langweiligen Gästen, sagte er seiner Frau: „Komm Käthe. Wir haben unsere Gäste genug gelangweilt“ - und verließen ihr eigenes Haus.

Hilbert wollte die „getrennt überlieferten mathematischen Wissenszweige“ nicht bloß äußerlich wie Klein in einer Enzyklopädie, sondern „innerlich durch die axiomatische Methode vereinigen“. Dabei suchte er in der Mathematik wie in der Physik nach obersten, einfachen Prinzipien, aus denen das gesamte Wissen des Gebietes logisch folgte.

„Klein will die Mathematik zur Herrscherin in der Welt der Wirklichkeit, ich zu der der Ideen machen“, schrieb Hilbert in einem Notizbuch. Die Mathematik war für ihn keine Wissenschaft des Rechnens, sondern eine Beschäftigung mit ihren grundlegenden Ideen: Unendlichkeit und Kontinuum, Wahrheit und Beweisbarkeit.

1930 bewies Kurt Gödel, dass nicht alle mathematischen Wahrheiten auch beweisbar sind. Hilberts Traum eines „Beweises des Beweisens“ schien sich auf den ersten Blick als unerfüllbar erwiesen zu haben. Die Frage gilt aber bis heute als offen.

In vier Jahrzehnten legte Hilbert ein Werk von beeindruckender Tiefe, Selbständigkeit und Universalität der Forschung vor - vergleichbar nur dem von Gauß.

Militarismus, Nationalismus und autokratische Politik lehnte Hilbert ab. Ebenso, dass Frauen nicht studieren und Dozentinnen werden konnten. Als 1915 - mit Ausnahme des Historikers Max Lehmann - seine geisteswissenschaftlichen Kollegen die Habilitation der genialen Mathematikerin Emmy Noether verhinderten, soll er gesagt haben: „Meine Herren, wir sind eine wissenschaftliche Anstalt und keine Badeanstalt.“ Badeanstalten waren damals noch nach dem Geschlecht getrennt.

Einstein war Pazifist und Gegner aller Chauvinisten. Zu den wenigen, die er als „echte Gesinnungsgenossen“ empfand, zählte er Hilbert und Lehmann.

Mit Max Born, James Franck, Richard Courant, Edmund Landau, aber auch dem Genetiker Alfred Kühn und dem Philosophen Leonard Nelson, Gästen wie Niels Bohr, Assistenten wie Wolfgang Pauli und Werner Heisenberg und vielen mehr war Göttingen in den Zwanziger Jahren Weltzentrum der Mathematik und Physik, ein Zentrum der Moderne, geprägt von Hilberts demokratischem, kantianisch-aufklärerischem Geist.

Heisenberg, Born und Pascual Jordan formulierten hier im Juni 1925 die Göttinger Quantenmechanik auf Grundlagen Hilberts.

Nach Hilberts Vorlesungen hatte Courant das Lehrbuch „Methoden der mathematischen Physik“ geschrieben. Wie in einer Vorahnung stellte es 1924 gerade jene von Hilbert in den letzten 20 Jahren geschaffene Mathematik vor, die in der neuen Quantenmechanik Anwendung fand.

1929 konnten die Göttinger Mathematiker ein großzügiges neues Institut einweihen. Kleins kongenialer Nachfolger Courant hatte die Rockefeller-Foundation überzeugt, es ihnen zu finanzieren. Hilberts bedeutendster Schüler wurde 1930 sein würdiger Nachfolger: Hermann Weyl.

1933 setzten die Nazis der größten Blüte der Wissenschaft in Göttingen ein Ende. Sie vertrieben die meisten Physiker und Mathematiker Göttingens aus rassischen oder politischen Gründen. Ganze Institute verwaisten.

1934 fragte der NS-Reichserziehungsminister Hilbert, ob das Mathematische Institut durch den Weggang der Juden und „Judengenossen“ gelitten hätte. Der Königsberger antwortete: „Jelitten? Dat hat nich jelitten, Herr Minister. Dat jibt es doch janich mehr.“

Knapp zwei Wochen nach der Kapitulation der letzten deutschen Truppen in Stalingrad starb Hilbert am 14. Februar 1943 in Göttingen. Sein Grabstein trägt sein Lebensmotto: „Wir müssen wissen. Wir werden wissen.“


© Daniela Wuensch und Klaus P. Sommer

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