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  Neue Zürcher Zeitung 06.06.2007, Nr. 128, S. 67

Forschung und Technik

C. Speicher
Einheit in fünf Dimensionen

Spe. Im kommenden Jahr soll am Europäischen Zentrum für Elementarteilchenphysik, dem Cern in Genf, ein neuer Teilchenbeschleuniger in Betrieb genommen werden. Punkto Energie wird der sogenannte Large Hadron Collider (LHC) alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen. Dass man mit dieser Maschine neue Elementarteilchen entdecken möchte, muss wohl kaum erwähnt werden. Manchen Physikern steht der Sinn jedoch nach Höherem. Sie hoffen, mit dem LHC den Beweis erbringen zu können, dass unser physikalischer Raum mehr als vier Dimensionen - drei räumliche und eine zeitliche - besitzt. Mit Sicherheit würde das als Triumph für die Stringtheorie gefeiert, die zusätzliche Raumdimensionen postuliert, um die Grundkräfte der Natur einheitlich beschreiben zu können. Weit weniger sicher ist jedoch, ob man sich bei dieser Gelegenheit auch an jenen Mann erinnerte, auf den dieser Vereinheitlichungsgedanke zurückgeht.

Die Rede ist von Theodor Kaluza (1885 bis 1954), dem «Erfinder der fünften Dimension». Im Jahr 1921 publizierte er eine Arbeit, in der er aufzeigte, dass die Einführung einer zusätzlichen Raumdimension es erlaubt, eine Brücke zwischen den beiden damals bekannten Naturkräften, der Gravitationskraft und der elektromagnetischen Kraft, zu schlagen. Es war niemand Geringeres als Albert Einstein, der als Erster die Tragweite dieser Idee erkannte und bekundete, er habe grossen Respekt vor der Schönheit und Kühnheit dieses Gedankens. In den folgenden Jahren griffen auch andere Koryphäen der Physik die Theorie Kaluzas auf und entwickelten sie weiter. Bald verloren sie jedoch das Interesse daran. Die Idee einer fünften Dimension erschien ihnen zu spekulativ.

Die Wissenschaftshistorikerin Daniela Wuensch hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, Kaluza nachträglich zu jener Anerkennung zu verhelfen, die ihm zu Lebzeiten versagt blieb. Ausführlich beschreibt sie in ihrer aus einer Doktorarbeit hervorgegangenen Biografie die besondere Atmosphäre in der ostpreussischen Stadt Königsberg, in der Kaluza aufwuchs und von der er naturwissenschaftlich und philosophisch geprägt wurde. Hier verbrachte Kaluza auch seine schöpferischsten Jahre. Wuensch begnügt sich allerdings nicht damit, in biografischer Manier das Leben und Werk Kaluzas aufzurollen. Sie erlaubt sich einen informativen, wenn auch nicht immer leicht verständlichen Abstecher in die Wissenschaftsgeschichte und schildert, wie sich der Vereinheitlichungsgedanke und die Vorstellung über die Dimensionalität des Raumes seit der Antike entwickelt haben.

Die Autorin verhehlt nicht, dass sie für Kaluza grosse Bewunderung empfindet - und das nicht nur seiner wissenschaftlichen Leistungen wegen. Was sie an diesem intellektuell brillanten und dennoch bescheiden gebliebenen Wissenschafter schätzt, ist seine moralische Integrität. Anders als manch einer seiner (berühmteren) Zeitgenossen hielt Kaluza auch während des Dritten Reichs an seinen humanistischen Idealen fest.
Daniela Wuensch: Der Erfinder der 5. Dimension. Theodor Kaluza - Leben und Werk. Termessos-Verlag, Göttingen 2007. 714 S., € 49.95.


 

996213, NZZ , 06.06.07; Words: 460